Adventskalender 2019, Türchen 22
Liebe Leser*innen,
heute nun öffnet sich Türchen 22. Nur noch 2 Türen und dann findet diese Geschichte vorerst ein Ende. Wie in jedem Jahr bin ich begeistert von der Idee, gemeinsam mit anderen, mir vertrauten, aber auch unbekannten Menschen eine Geschichte zu entwickeln. Wenn ihr lest, was bisher passiert ist, werdet ihr kaum merken, wann der eine geendet und die andere begonnen hat. Dieses Verweben von Worten, Gedanken und Gefühlen im Stillen und im Innehalten – das bedeutet Advent für mich und das ist ein großer Zauber des Schreibens.
In diesem Sinne danke ich Sabine dafür, dass sie den Kalender alljährlich neu entstehen lässt und pflegt – ja, auch ein Kalender will gepflegt sein – , allen Mitautoren*innen für ihre Texte, Inspiration und dafür, dass auch sie an die Kraft der Phantasie glauben und wünsche euch als Lesern*innen ein gesegnetes Weihnachtsfest und ein glückliches, gesundes 2020.
Was gestern hier geschah, folgt kursiv gedruckt, mein Text schließt sich dem an und morgen schreibt Amy weiter.
Henni wußte nun wirklich nicht mehr wo ihr der Kopf stand. Diese Fülle von Ereignissen machte ihr zu schaffen, sie kam sich so vor als stünde sie kurz vor der Einweisung in die Klapse und ihr Schweben im Nirgendwo war nichts anderes als der Flug übers Kuckucksnest. Auch hatte sie jegliches Gefühl für Zeit und Raum verloren. Waren Minuten, Stunden, Tage, Wochen, womöglich Jahre vergangen? Sie wußte es nicht. Wo befand sie sich wirklich? Sie wußte es nicht. „Was erlauben Sie sich?“, und schlug nach den Händen, die sich in ihren Hüftspeck gegraben hatten. Henni wußte nicht viel, aber eines sehr genau – nicht einmal der Weihnachtsmann durfte sie da anfassen! „Soll er doch seine eigene fette Plauze tätscheln“, mit diesem Gedanken schaute sie direkt in ein Grinsen. „Jack?“…
Tür 22
„Henni, habe ich Sie erschreckt? Das wollte ich nicht. Sie wissen doch, Samstag ist Wiegetag für Sie. Orangen bringen keinen Speck auf die Hüften und Sie haben jetzt schon wieder 6 Kg abgenommen seit Ihrem letzten Aufenthalt bei uns. Und der liegt noch gar nicht so lange zurück.“
Plötzlich drangen aus dem Nachbarzimmer Schreie. „Henni, warte, da muss ich kurz mal hin,“ vertröstete Jack die abgemagerte Frau und eilte in Zimmer 2212, in dem seit gestern Abend neben Frollein Anders zusätzlich Frau Gottschling untergebracht war. Es war das blaue Zimmer, der Raum, in dem sich neben Bett, Tisch, zwei Stühlen und Einbauschrank nur eine blau gestrichene Wand befand – Blau beruhigt, das hatten irgendwelche Psychologen herausgefunden, man kann es ja mal probieren. Und obendrein hatte irgendjemand mit einem blauen Stift ein C und ein W an die Schranktür gemalt, was sich auch mit den hartnäckigsten Putzmitteln nicht zu entfernen ließ.
Henni seufzte und schlich leise zum Stationszimmer. Weihnachten stand vor der Tür, das hatte sie soeben bemerkt. Deshalb nahm sie die drei Orangen, die ihr Tom von Zimmer 1412 geschenkt hatte, und stapelte sie liebevoll in einer Glasvase – Schwester Sieglinde sollte schließlich nicht leer ausgehen.
Drei Stunden später schlüpfte Jack in die viel zu große Felljacke seines verstorbenen Großvaters und machte sich auf den Heimweg. Komisch, dachte er, die Bäume im Park sehen tatsächlich aus wie Leitern, die in den Himmel ragen. Die Techniker hatten sie auf Geheiß des Chefarztes mit Lichtgirlanden umwickelt, das sollte die Menschen hier auf das heilige Fest vorbereiten.
Oben im Fenster stand Henni und winkte ihm zu. Lächelnd hob er seine Hand und erwiderte den Gruß…
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