Im Strom der Zeit
30.03.2017 In der Nähe des Neuwieder Yachthafens
Heute habe ich mich auf der Suche nach dem #Schreibort der Woche ausschließlich von meiner Sehnsucht nach Luft und Wärme leiten lassen. Nun sitze ich hier auf einem Poller am Ufer des Rheins – unmittelbar vor mir liegt ein Steg geformt aus Geröll, der weit in das Wasser ragt. Das Tuckern der vorbeiziehenden Lastkähne beruhigt mein Herz, Amseln zwitschern und balzen beschwingt (http://www.welt-der-amseln.de/amseln/amsel-paarbildung.htm) , ein still gelegtes Atomkraftwerk auf der gegenüberliegenden Seite erinnert mich an Donald Trumps aktuellen Beschluss, die Bemühungen seines Vorgängers um den Umweltschutz zu boykottieren und rückgängig zu machen. Was ein Wahnsinn! Die Natur ist eine unserer wichtigsten Ressourcen, das spüre ich hier, wo das leise Plätschern der Wellen, die Wärme der Sonne, der Gesang der Vögel und das bedächtige Strömen des Flusses ein eigenes Lied der Stille komponieren.
Vor mir liegt eine achtlos entsorgte, durchsichtige Plastikschale mit Deckel und noch vorhandenen Essensresten, hinter mir eine Mischung aus gebrauchten Papiertaschentüchern, benutzten Kondomen und unterschiedlichen Verpackungsmaterialien einer Fast-Food-Kette. Unbeeindruckt vom Müll am Ufer streichelt die Frühlingsluft meine Haut und schmeichelt meinem Stift, der tänzeln möchte unter diesen Bedingungen. Vom Fluss her weht in Wellen der typische Geruch eines fließenden Gewässers, irgendwie hat er nicht die Klarheit einer Quelle, sondern eher etwas Muffiges, Undefinierbares und auch eigentümlich Dunkles. Auf der Wasseroberfläche tanzen tausend kleine Lichtpunkte wie Sterne, das versöhnt mich mit meiner kurzfristigen olfaktorischen Irritation.
Hier – am Flussufer – kann ich meine Gedanken abgeben in das gemächliche Gleiten der sich kräuselnden Wellen und sie im Weiterziehen sanft verabschieden. Hier wird nicht zensiert, eingeengt oder normiert, hier ist das Leben frei und ungezwungen – sieht man mal von der Bedrohung durch den AKW Turm ab. (http://www.rhein-zeitung.de/bilder/bilder-regional/fotos-koblenz_galerie,-abriss-akw-muelheimkaerlich-_mediagalid,44580.html)
Das Schreiben an diesem Ort fühlt sich luftig und leicht an, über mir der blaue Himmel mit – wie Ringelnatz sagen würde – Wolkengezupf (http://www.medienwerkstatt-online.de/lws_wissen/vorlagen/showcard.php?id=4022) . Genau an diesem Ort finden meine Sätze eine seltsame Form der Zeitlosigkeit. Der #Rhein strömt hier seit Millionen von Jahren, zwischen seiner Quelle in der Schweiz und der Mündung in die Nordsee, stets in dieselbe Richtung durch Auen und Täler, deren Konturen er modelliert und prägt, ohne Unterlass. Ob er mir erzählen kann, wie sich Ewigkeit anfühlt?
Auf einmal spüre ich den unbändigen Drang, eine Flaschenpost aufzugeben. Ich begreife, dass ich Buchstaben ins Ungewisse wörtlich versenken kann und entflamme mehr und mehr für diese Idee. Die Flaschenpost als Symbol für ein sich Fallen lassen können, denn genau das geschieht während des Schreibflusses, ein mich fallen lassen können. Letters-in-a-bottle@unbekannt.de, ich bin bereit und werde mich überraschen lassen. Post einmal anders, kontemplativ und absichtslos, im Strom der Zeit. Daraus könnte eine Geschichte entstehen, ich werde berichten!
Anmerkung: Meine Sätze werden länger am Fluss, es ist als wolle ein eigener Strom im Schreiben entstehen, der sich höchstens durch Kommata unterbrechen lässt, aber nie ganz abreißen will.
5 Comments
Liebe Hedda, beim Lesen musste ich gleich an das Lied „Am Rhein“ von Manfred Pohlmann denken, das ich dann leider nicht online gefunden hab. Vielleicht kennst du es trotzdem, muss ja ungefähr da entstanden sein, wo du warst. Der Fluss als Sehnsuchtsort, Spurensammler, Verbindung von Menschen, Orten und ihren Geschichten … Wasser, egal ob Meer oder Fluss, inspiriert mich persönlich sehr, nicht unbedingt als Schreibort, aber Ideenquelle. Ja, mach mindestens eine Geschichte draus! LG, Miss Novice
Liebe Hedda,
ich hab es geschafft. 😀
Und weil Du so wunderbar anschaulich schreibst, sitze ich einerseits zusammen mit dir am Fluss, lasse mit dir die Gedanken treiben und sitze zeitgleich im Garten einer Freundin und höre dem heiteren Gezwitschere der liebestollen Gartenvögel zu und alles wird eins… dein Fluss fließt duch meinen Garten, eine Flaschpost treibt vorbei, aber an seinem Ufer treibt kein Müll, sondern stehen Blumen in den sattesten Farben, Hummeln brummen und die Vögel fliegen in wildem Sturzflug vorbei…
lg. mo…
Liebe Hedda,
das ist mein Lieblingssatz: „Ich begreife, dass ich Buchstaben ins Ungewisse wörtlich versenken kann…“, ich freue mich jetzt schon auf die Flaschenpost aus Koblenz; eine tolle Idee, die gefällt mir, kann dir dann eine zurückschicken!
Viele Grüße nach Koblenz,
Sabine
Liebe Hedda,
ich sehe Dich am Fluß sitzen und die Sonne auf der Haut spüren, so plastisch hast Du diese Szene geschildert. Mich überkommt dieses Gefühl von Zeitlosigkeit und Zugehörigkeit zur Landschaft, wie Du es beim Blick auf den Rhein beschreibst, wenn ich im Gebirge auf die mich umgebenden Berge schauen. Da bekommt Ewigkeit einen Ort. Ich bin sehr gespannt auf den Ausgang der Flaschenpost. Welch eine tolle und spannende Idee.
Liebe Grüße
Anne
Liebe Anne,
vielen Dank für deine Rückmeldung. Ich bin immer wieder angetan von der Möglichkeit, mit Sprache eine Atmosphäre kreieren zu können und freue mich, wenn mir das an dieser Stelle gelungen ist.
Ich werde über den Verlauf der Flaschenpost berichten ..
alles Liebe
Hedda